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Das Spiel mit den Stahlkugeln wird auch in Deutschland immer beliebter

Von Martin Koch

Aus dem Kreis im Sand wirft der Mann eine kleine Holzkugel. Er schreitet die Distanz ab, scheint zufrieden, und wirft eine faustgrosse Metallkugel hinterher. Kurz vor dem Ziel bleibt sie liegen. Drei der sechs Männer tuscheln jetzt miteinander, bis einer entschlossen den Kreis betritt.

Er konzentriert sich kurz, und mit ausholendem Armschwung schmeisst er seine Kugel durch die Luft und trifft. Klack. Metall auf Metall, ein satter Ton.

Die andere Kugel fliegt weit weg, die Schusskugel tollt sich noch ein Stück und bleibt dann liegen. Das war ein guter Schuss, und zum Applaus klicken seine Mitspieler die Kugeln aneinander.

,,Ist das Boccia?" fragt neugierig eine Spaziergängerin. ,,Das hat doch Adenauer schon gespielt, nicht?" Spätestens jetzt fasst sich der Spieler an den Kopf, die Konzentration ist weg, die nächste Kugel verspielt. Die freundlich gemeinte, aber unpassende Ansprache ist so ungefähr die schlimmste Zumutung, die einem Kugel-jünger widerfahren kann. Und das passiert ihm jeden Sonntag mindestens ein paar mal. Fragt man Fussballer, ob sie da gerade Faustball spielen?

Trotzdem erklärt der schon leicht angregraute Mittvierziger, der in seiner Linken zwei Kugeln und ein Staubtuch hält, der älteren Dame mit Langmut, dass das, was er und seine spielgefährten im Park veranstalten, mitnichten Boccia, sondern Boule sei.

,,Wie? Bowling?" Nein, nein. Aber die Zuschauerin ist schon weitergegangen und sieht nur noch von ferne zu.

,,Das populärste Kugelspiel in Frankreich und in der ganzen Welt", sagt Jürgen Wahl, immer bereit, Boule jedem zu erklären. Der Rechtsanwalt aus Düsseldorf ist - das gibt er unumwunden zu - ,,boule-süchtig". Wenn die Sonne lacht, hält ihn nur noch wenig in seinem Büro. So oft es geht, verdrückt er sich auf die Rheinuferpromenade. Er hat immer einen Satz Kugeln dabei, ein Staubtuch, um die guten Stücke blank zu halten - und grosse Lust auf eine Partie.

Den Boulevirus hat er sich, wie alle deutschen Boulomanen, beim Urlaub in Frankreich eingefangen. ,,Der Klang der Kugeln hat mich fasziniert" - und immer wenn er sein Spielzeug auspackt, durchströmt ihn ein wenig die Sehnsucht nach der Provence.

,,Jeu de Boule" oder abgekürzt eben:
,,Boule" ist französisch und heisst übersetzt einfach nur ,,Kugelspiel". Die mit Abstand wichtigste Form hat den Namen Pétanque. Und da 19 von 20 Spielern die Kugeln nach seinen Regeln werfen, ist für die meisten Boule und Pétanque praktisch ein und dasselbe.

Dabei unterscheidet sich Pétanque gründlich von allen anderen Arten des Boule. Bei manchen wird die Kugel auf einem Bein gespielt (Jeu provençal) oder aus dem Lauf (Boule Lyonnaise). Bei anderen sind die Kugeln nicht rund, sondern sehen aus wie grosse Eier (Boule de fort). Dann gibt es wiederum Spielarten, bel denen die Bahnen sehr kunstvoll schräg gebaut werden, um die Sache ein bisschen komplizierter zu gestalten (Boule de berges). Boccia ist eine italienische Form und wird mit bunten Kugeln aus Holz auf ebenen und extra gewalzten Bahnen gespielt.

Pétanque hingegen ist das einfachste und - so ist das Leben nun mal - auch das komplizierteste der Kugelspiele. Wörtlich übersetzt heisst ,,Pétanque" so viel wie ,,die Beine zusammen". Um ihre Kugel werfen zu dürfen, müssen alle Spieler zuerst einen Kreis mit einem Radius von 50 Zentimeter betreten, dann beide Füsse nebeneinander stellen und beim Werfen auch fest auf dem Boden halten.

lnzwischen hat der Rechtsanwalt wieder den Kreis betreten und eine weitere Kugel platziert. Sie liegt ziemlich nahe an der kleinen hölzernen. ,,Sau” oder
,,Schweinchen" nennen sie die Spieler, und die Metallkugel, die ihr am nächsten liegt, hat den Punkt. Einer aus der anderen Gruppe - es treten immer zwei Mannschaften zu zwei oder drei Spielern gegeneinander an - kickt mit seiner Kugel diese wieder weg.

Was von beiden nun zu tun ist, das ist die Taktik. Und die ist kompliziert. Denn aus der einfachen Konstellation - die einen legen eine Kugel nahe an das Ziel, und die anderen müssen entweder näher kommen oder die gegnerische wegschiessen - ergeben sich die vielfältigsten Möglichkeiten. Jede Mannschaft hat zusammen sechs Kugeln zur Verfügung. Und die müssen so eingesetzt werden, dass entweder viele Punkte gemacht oder wenigstens nur wenige abgegeben werden. Es zählen am Schluss die Kugeln, die näher an der Sau liegen als die beste Kugel des Gegners, egal, wie weit das auch ist. Und wer zuerst 13 Punkte erreicht hat, ist der Sieger.

Um das Spiel aus Südfrankreich ranken sich viele Legenden. Um 1910 soll es in dem Hafenstädtchen La Ciotat in der Nähe von Marseille erfunden worden sein. Aus Gutmütigkeit, denn dort sass Jules Le Noir, der schwarze Jules, mit quälendem Rheurna und musste zuschauen, während die anderen Burschen die Kugeln warfen und sich prächtig amüsierten. Die Kugeln wurden aus dem Lauf über 20 Meter weit geschleudert. Wer nicht fit war, konnte damals nicht mithalten. Irgendwann tat ihnen Jules Leid, und sie änderten die Regeln. Jetzt sollte aus dem Stand und nur noch zwischen sechs und zehn Meter weit gespieit werden. Das konnte auch Juies von seinem Stuhl aus.

Damit war zumindest die Distanz erfunden, die auch heute noch gilt. Doch bis zum Pétanque in seiner heutigen Form musste es erst zur Weltwirtschaftskrise Ende der Zwanzigerjahre kommen. Damals wurde der Metallarbeiter Jean Blanc arbeitslos, und aus lauter Zeitvertreib schmiedete er Kugeln aus Metall. Bis dahin spielten die Südfanzosen mit genagelten Holzkugeln. Jean, dessen Firma J. B. es noch heute gibt, wurde damit reich. Und die Bouler hatten ihr Spielzeug.

Denn ohne die Metallkugeln, die innen hohl sind und den Regeln nach zwischen 650 und 800 Gramm wiegen müssen, wäre es nichts mit dem Pétanque. Es gäbe den Klang nicht, wenn die Kugeln aufeinander stossen, und nicht dieses magische Handschmeicheln, von dem die Bouler so scbwärmen.

Drei Kugeln sind ein Satz. Und wer einen besitzt, kann sicher sein, dass es diesen weltweit nur einmal gibt. Verwechslungen sind ausgeschlossen. Denn die echten, zwischen 80 und 400 Mark teuren Boulekugeln unterscheiden sich von den billigen Imitaten durch eine eingravierte Registriernummer, der Gewichtsangabe und dem Markenzeichen der Firma.

Und wer einen Satz der klassischen Hersteller Integrale, Obut oder J. B. hat, belegt sie auch mit einer Aura. ,,Jede Kugel fühlt sich anders an", meint der passionierte Boulist Wahl. Eine ,,magische Freundschaft" zwischen Hand und Eisen beschwört er. ,,Ist die nicht da, dann kann man auch nicht gut spielen."

Viel mehr als Kugeln braucht der Pétanquier auch nicht. Extra präparierte Bahnen wie bei anderen Kugelspielen sind sogar von Übel. Denn der Boden gehört - wie beim Golf - zum Spielaufbau. Dass die völlig verschiedenen Terrains dem Spieler immer wieder nene Aufgaben stellen, ist Absicht. Pétanque wird daher überall gespielt, auf Sand oder Waldböden, auf ebenen oder schiefen Flächen, auf zerfurchten Parkplätzen oder Parkwegen, nur auf Rasen und glatt asphaltierten Strassen spielt man nicht.

Jürgen Wahl ärgert es immer besonders, wenn die Passanten Pétanque mit Boccia verwechseln. ,,Ignoranten", schimpft er dann. Der Bouleenthusiast ist zwar nicht der beste deutsche Spieler, aber der eifrigste Propagandist der hiesigen Kugelgemeinde. Vor einigen Jahren arbeitete er noch für eine Agentur, die im Ruhrgebiet grosse Sportveranstaltungen vermarktete. Sein Know-how und seine Verbindungen nutzte er und organisierte 1996 die erste und bisher einzige Pétanque-Weltmeisterschaft in Deutschland. Über 40 Nationen waren damals in der Essener Gruga-Halle am Start.

Ein Geschäft war das nicht, eher das Gegenteil. Der Deutsche Pétanque-Verband blieb auf Schulden von 180 000 Mark sitzen. Aber immerhin konnten sich die Deutschen mit der Veranstaltung im internationaien Boulegeschehen einige Reputation erwerben. Zum ersten Mal mischte eine deutsche Mannschaft vorne mit und erreichte den fünften Platz.

Wie viele Menschen hier zu Lande Boule spielen, ist schwer zu schätzen. Nach den Hochrechnungen der Kugelfirmen dann dürften schon über eine Million Deutsche die Kugel gerollt haben. ,,Freizeitspieler", wie sie in der Bouleszene ein wenig abschätzig genannt werden.

Die ,,Wettkampfspieler" bilden den harten Kern der wachsenden Boulomanie in Deutschland. Deutlich über 12000 Lizenzen sind beim Deutschen Pétanque Verband registriert. Die Zahl hat sich in den vergangenen fünf Jahren fast verdoppelt. Eine Lizenz braucht, wer bei grossen Tumieren und Meisterschaften mitspielen will.

Neben der Ehre geht es dann auch ums Geld. Noch ist es nicht so viel, dass rnan von echten Profis sprechen kann. Aber immerhin verdienen die Champions der vorderen Ränge ein Taschengeld von einigen Hundert Mark pro Turnier.

In das Turniergeschehen greift auch Jürgen Wahl ein. Nach der Weltmeisterschaft konzentriert er sich ganz auf seinen Heimatverein in Düsseldorf. Sein Ehrgeiz: Er will das grösste deutsche Turnier auf die Beine stellen.

Am 21. Mai ist es so weit. Dann steigt das ,,Düsseldorf Ouvert". Am Ufer des Rheins, mitten in der Stadt, lässt Wahl auf den Asphalt 30 Tonnen Split streuen, um Bouleboden zu erzeugen. Dicke Holzbalken werden die Spielfelder abgrenzen und die Zuschauer vor geschossenen Kugeln schützen. Aneinander gelegt ergeben die Balken eine Strecke von drei Kilometer.

Der ganze Aufwand gilt nur einem Wochenende und muss danach wieder abgebaut werden. Keine andere deutsche Stadt hat sich bisber so für die Boulespieler ins Zeug geiegt. Natürlich sind auch die Preisgelder üppiger ais anderswo. Einschliesslich der Sachpreise werden die rund 900 Pétanquiers um insgesamt 15000 Mark kämpfen.

Für Deutschland ist das schon viel. Im Mutterland des Kugelsports gelten dagegen andere Verhältnisse. In Marseille findet jeden Herbst das grösste Turnier der Welt statt. Über 20000 Boulisten geben sich dort eine Woche lang die Kugel und rangen um mehr als eine halbe Million Francs. Dort sieht man dann die echten Profis und ihre magische Hände.

Quelle: Wirtschaftswoche, 18.05.2000.
 

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